Fun Benshajmer Jidiszn Lager
(beinahe eine Reportage)
Bericht aus der DP-Lagerzeitung Unterwegs aus Zeilsheim über das Lager in Bensheim

Ich stand am Fenster als Beobachter und habe hinaus geschaut auf den Lagerplatz, wo eine Gruppe Menschen stand und mit den Händen gestikulierte und mit lauter Stimme redete. Ihre Stimmen sind aber nicht zu meinen Ohren gedrungen. In der Hofecke, wo sich die Küche befand, gab es eine große Menschenbewegung. Frauen, Männer, Kinder, beladen mit Töpfen, Blechdosen, Krügen, sind rein und raus aus der Küche mit dem warmen Lagerfrühstück in ihre Unterkunft gezogen.
Nur meine Auge haben die rasche Bewegung auf dem Lagerhof gespürt, haben doch meinen Sinne mich weggeführt in eine andere Welt von damals... wie in einem Kaleidoskop hat sich vor mir das einstige jüdische Leben in Polen abgespielt. Jüdische Städte und Städtchen, überfüllt mit jüdischen Händlern, Krämern, Handwerkern, Vorbetern, Schächtern, Rabbis und anderen mehr.

Meine Gedanken sind unterbrochen worden durch heftiges Klopfen an der Tür. Die Tür hat sich rasch geöffnet und ins Zimmer hinein kam der Lager-Korrespondent, schnaufend und schwitzend mit vorgestreckten Händen, gefüllt mit beschriebenen Papierblättern. "Teurer Freund!" hat er ausgerufen und von seinem Gesicht rann Schweiß, seine Augen schauten mich dabei starr an wie nach einer schlaflosen Nacht; er ist sich bewusst, dass er der Lagerkorrespondent von Bensheim ist.
"Meine Pflicht ist doch, das Leben unserer jüdischen Lagereinwohner zu beschreiben, aber bis jetzt ist noch nichts gedruckt worden, obwohl ich ganze Fuhren mit Beschreibungen rübergeschickt habe. Ich habe gebrannten Ärger auszustehen. Von allen Seiten kommt man zu mir mit Vorwürfen, warum ich nichts über das Bensheimer Lagerleben schreibe. Es kommen mit Vorwürfen: der Bensheimer jüdische Sport-Klub, der Theaterkreis, verschiedene politische Parteien, Schullehrer, der Polizeichef, unsere jüdischen UNRRA-Angestellten, schließlich, endlich die Komiteemitglieder mit ihren Vorsitzenden an der Spitze. Sie alle geben mir verschiedene Fotos, Bilder und schreien: Beschreib uns! Es soll die Welt wissen, dass wie hier sind, dass wir leben, was wir machen in unserer jüdischen Gemeinschaft. Um der Wahrheit willen muss ich auch sagen, dass ich alle Zeitungen und Journale von der Szeerit-Haplejta (= der Rest der übrig gebliebenen, Anm. d. Verf.) durchgeblättert habe und gar nichts über Bensheim gefunden habe, als wenn es nicht wie andere Lager in der amerikanischen Zone existieren würde. Wenn ich es mir recht überlege, überkommt mich ein Gefühl von Scham, weil die Welt wirklich wissen soll, wieviel Juden übriggeblieben sind und wie es kommt, dass in Bensheim Juden leben! Allgemein habe ich mitgebracht (er übergibt mir, während er spricht, die beigefügten Papiere) alle Nachrichten, Berichte, statistische Zahlen über das Bensheimer Lager und bitte dich, wenn ihr Bekanntschaft habt in der Zeitungswelt, sollt ihr so freundlich sein und euch bemühen, damit das gedruckt wird."

Ich setzte mich an den Tisch und lese darüber, dass die jüdische jiszuw (Gemeinschaft) sich im Juli 1946 gegründet hat. In kurzer Zeit ist die Zahl der Bewohner auf 1300 gestiegen. Das Hauptelement sind polnische Juden, Zurückgekommene aus Russland, der Rest besteht aus ungarischen, rumänischen und einer kleinen Zahl deutscher Juden.
Im Lager gibt es Schuster, Schneider, Tischler, Schlosser, Werkstätten für eine größere Zahl Arbeiter. Es gibt eine Fachschule für Damen-Schneider, die von zwanzig Schülern besucht wird. Einen Kurs für Kraftfahrer mit einer ähnlichen Zahl der Teilnehmer. Es bilden sich jetzt verschiedene Fachschulen wie: Trikotage, Tischlerei, Radio-Elektrik, Elektriker, u.s.w.
Der Theaterkreis, der geleitet wird von den Genossen Joel Grobia und Rfoel Fajfowicz, hat Zeugnis seiner Existenz gegeben durch eine größere Zahl Vorstellungen, mit einem immer wieder geänderten Repertoire von Revuen. Der Sportklub hat eine schwache Tätigkeit, weil es an entsprechenden Menschen fehlt, welche sich dafür interessieren, Es spielt gerade die Fußballmannschaft und die Tischtennissektion, andere sportliche Disziplinen sind vernachlässigt.
Mehr Freude kommt von der Schule, an deren Spitze der Genosse Wichiewski steht, ein Lehrer mit Erfahrung und Verwaltungsfähigkeiten bei dieser Einrichtung. Die vierklassige Volkschule wird von ungefähr 80 Kindern besucht, die im Laufe der Zeit gute Fortschritte gemacht haben beim Lernen. Die Schulveranstaltungen, die unter der Leitung der Schullehrer veranstaltet wurden, haben unter den Lagerbewohnern eine gute Stimmung verbreitet.
Es befindet sich an der Schule auch ein Kindergarten mit 34 Kinderchen.
Im neu gewählten Komitee sind Vorsitzende aller politischen Gruppierungen im Lager vertreten: von der Poalej-Cijon C.S. Szubert, Szomer-Hacair Wajc, linke Poalej-Cijon Rotszejn, Revisionisten Gotlib, Jichud Zajdman, Mizrachi Wajc und als Präses (Vorsitzender) der unparteiische Bergmann.
In den Schriften des jungen Mannes befanden sich auch noch faszinierende Beschreibungen des Lagerlebens, Rezensionen von stattgefundenen Theatervorstellungen, über Keren-Kajemes-Bälle, über Streitigkeiten zwischen Parteien, über von gesellschaftlichen Repräsentanten begangene Sünden, über die Tätigkeit des fr¨heren Komitees, über schlechtes Betragen von jüdischen Angestellten der UNRRA, über schlechtes Essen aus der Küche, über Hosen, Dosen u.s.w.

- Nein! - habe ich geschrien - ich will nicht mehr über diese Dinge grübeln, genug damit!
Wieder kommen mir Bilder von damals in den Sinn: Geistreiche Genossen, vielfarbige, zahlreiche Kibbuz in Polen, wo das jüdische Leben vibriert und rauscht, mit hunderten Schulen, Gebetshäusern, Büchereien, Volkshochschulen, Parteien, Organisationen, mit tausenden, zehntausenden, Millionen jüdischer Kinder, Frauen, Männer...
So hat es das unbarmherzige Schicksal gewollt, dass zwischen dem Mördervolk, das ein Drittel des jüdischen Volkes rücksichtslos vernichtet hat, die Szeerit-Haplejta in DP-Lagern leben muss, wohnen auf der verfluchten deutschen Erde und ein Schein-Leben (kmoj-Leben) führen, das sich in Komitees, im Streit wegen Kleinigkeiten, Ärger wegen ein paar Hosen.... Schicksal - Bitteres Schicksal!

(Übersetzung: Martha Schmetterling)